Konzert
Von Jan-Peter E.R. Sonntag
Donnerstag, 10. März 2016, 19.30 Uhr
Im Zentrum des Konzertes in der Installation NYMPHAE_M RAUSCH ECK stehen zwei EXTENSIONEN von Jan-Peter E.R. Sonntag:
Eine gedehnte Komposition aus dem 3. Akt seiner Kammeroper SINUS für den für sie entwickelten sonH-Vowel-Synth, sowie eine Komposition für ein und zwei Kontrabässe mit einer für den 2. Akt von SINUS neu entwickelten Spieltechnik – ein »deep listening space«.
Da wir nur einer limitierten Zahl von Zuhörern einen Platz in dem Setting für die Uraufführungen einrichten können, bitten wir um eine verbindliche Anmeldung bis einschließlich 9. März via e-mail: pow@galeriewedding.de.
Programm
Einführung
#1 NYMPHAE_M für 2 Kanal-Sound-System für die Architektur der Galerie Wedding
(UA, 11min)
#2 EXTENSION für sonH-Vowel-Synth
(UA, 55min)
Pause
#3 EXTENSION für ein und zwei Kontrabässe
(UA, 34min), Kontrabass – Lars Gühlcke
Die Frage nach einer »unerhörten Musik« mit bis jetzt auch noch ungehörten Schallereignissen – ein Phantasma nicht nur in der Neuen Musik der Moderne und darüber hinaus – ist für Jan-Peter E.R. Sonntag keine Glaubensfrage, sondern in erster Linie eine körpertechnische, mechanische, bautechnische, elektrotechnische und programmiertechnische – also erst einmal eine Frage nach Techniken beziehungsweise technischen Möglichkeiten. Für einen architektonischen Raum, der als hüllender Filter, Reflektor, Absorber oder Verstärker den Klang maßgeblich bestimmt extra ein Soundsystem zu entwickeln ist genauso Teil der Komposition für ihn, wie die Entwicklung von Instrumenten und Schaltungen. In den 90er Jahren standen in Sonntags Forschen und Entwickeln vor allem Fragen der Raumwahrnehmung unter Einbeziehung von Wissens-Feldern der Hörpsychologie und Kognitionswissenschaft im Vordergrund. 1993 produzierte Jan-Peter E.R. Sonntag erstmals zusammen mit dem Programmierer Jörg Spix für seine Installation im Treppenhaus des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur in Hannover ein endlos steigendes wie auch fallendes Rauschen – eine bis dahin noch nicht realisierte Raumtäuschung an einer IRCAM Workstation –, das Ausgangspunkt der Raum-Klang-Komposition NYMHAE_M – ein psychoakustischer, kommunaler Rauschraum ist.
Nach seiner ersten Kammeroper N-Spiral (UA Kampnagel Fabrik, Hamburg 1999; pro musica nova, Bremen 2000) rückte bei ihm das Phantasma der elektronischen Klangerzeugung in den Vordergrund und so entwickelte er basierend auf seinen Medienarchäologischen Forschungen zu William Duddel, Lew Thermen und Nicola Tesla seine ersten sonArcs – domestizierte Blitze – erste rein elektrisch/ elektronische Systeme, deren Schall – und Sende-Interfaces codierte Hochspannungsplasmen sind. 2006 kam im TESLA in Berlin Sonntags zweite Kammeroper sonArc::ion auf der Suche nach dem Wesen Elektrizität und den Anfängen der elektronischen Musik zur Uraufführung.
Als Reaktion auf den Tod Friedrich Kittlers im Herbst 2011 initiierte Sonntag apparatus operandi#1 – der Synthesizer des Friedrich A. Kittler (u.A. zkm, Karlsruhe 2012; transmediale, Berlin 2013). »Auf Kittlers Schreibspuren, mit scharfem Blick und wachem Ohr, mit und gegen Kittler an Nietzsche und über Foucault gilt es nicht schlicht den Modularsynthesizer einer Vivisektion zu unterziehen. Über das Denken und Dichten von Hardware betreiben wir an den nachgelassenen »Corpora« Philologie, Kittler-Exegese. Schaltungsgrammatologie. ›Sie haben Recht – unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.‹ (Colli/Montinari, KSB III, 1, 172)«, so beschreibt eine weibliche Tonbandstimme im Herbst 2012 im ZKM die Anfänge des Projektes vor der Videoprojektion der ersten Anatomie. Zusammen werden Sebastian Döring und Jan-Peter E.R. Sonntag auch im Rahmen der gesammelten Schriften die Schaltungsnotationen zu Kittlers Synthesizer im Fink Verlag herausgeben.
Die jahrelange Auseinandersetzung des Sohnes, Enkels und Urenkels von HNO-Medizinern mit den Schriften von Herman von Helmholtz führte zur Entwicklung des sonH-Vowel-Synth´ und um ihn seine dritte Kammeroper SINUS, die er im letzten Jahr für das Tieranatomische Theater an der Humboldt Universität in Berlin komponierte. Der obertonlose, »einfache Ton« nach Hermann, dessen Wellenform mathematisch durch eine Sinusfunktion beschrieben werden kann, ist das poetische Kontinuum der Oper. Für Sonntag ist die Tonlehre Helmholtz’ nicht nur ein historischer Versuch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ein physiologische Grundlage der Musik zu schaffen, sondern es beschreibt und schafft zugleich die geistigen und apparativen Grundlagen der Ästhetik der Neuen und experimentellen Musik des 20. Jahrhunderts sowie die Technologien der elektronischen und digitalen Musik bis heute. So ist der Apparat zur »Synthese von Vocalen«, den Helmholtz zur experimentell sinnlichen Überprüfung seiner Theorien von König bauen lässt, wirklich ein erster elektroakustischer Synthesizer noch vor der Erfindung der Röhren, Transistoren und elektrodynamischen Schallwandler / Lautsprecher, die die so genannte elektronischen Musik im 20sten Jahrhundert erst technologisch ermöglichten. Nach mehreren Jahren Forschung und Entwicklung entstand im Herbst 2015 ein erster sonH-Vowel-Synth – ein computergesteuertes, akustisches Instrument mit dem zwei Partial Tonreihen aus insgesamt 20 »einfachen Tönen« zu Klängen mit verschiedenen Vokal-Charakteristiken und Schwebungen gemischt werden können.