German for Newcomers | Law Shifters
Eine Ausstellung, Film- und Buchpräsentation von Stine Marie Jacobsen.
Kuratiert von Dr. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Solvej Helweg Ovesen im Rahmen von POW (Post-Otherness-Wedding)
Begrüßung: Sabine Weißler, Bezirksstadträtin für Weiterbildung, Kultur, Umwelt und Naturschutz und Dr. Ute Müller-Tischler, Leiterin der Galerie Wedding und des Fachbereichs Kunst und Kultur
Ausstellung vom 14.10 bis 12.11.2016
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Stell dir eine Welt vor, in der die Jugendlichen im belgischen Molenbeck nicht (von Journalisten) zu Terrorismus befragt werden, sondern stattdessen nach ihrer Meinung über Zuwanderungsgesetze, über ihre Rechte, und über die belgischen Sprachen. Stell dir eine Welt vor, in der Geflüchtete die Zuwanderungsgesetze selbst entwerfen, in der sie Spezialisten im EU Migrationsrecht sind und sich selbst Deutsch beibringen können. Stell dir vor, dass Leute aus der ganzen Welt im Sprachunterricht die deutsche Grammatik »biegen«, ihre eigenen Erklärungen der Grammatikregeln entwerfen, und sich über die Autorität lustig machen, die Sprache den Sprechenden abverlangt! Oder einen Unterricht, in welchem die Geisteshaltung an erster Stelle steht und ein Fehler des Lehrers/ der Lehrerin der Höhepunkt des Lernens ist?
»Es gibt in der deutschen Sprache Wörter, die so schwierig auszusprechen sind, dass man sie lieber essen will als sagen möchte! // There are words in the German language that are so hard to pronounce, that you would rather eat them than pronounce them!
Wenn die Deutschen sehr unsicher sind oder wenn sie etwas nicht wissen, antworten sie nur mit ä, ö oder ü. // When the Germans are very insecure or they don’t know something, they answer only with ä, ö or ü.
There is a umlaut, because the Germans are always serious. The umlaut makes the language more serious.«
aus »German for Newcomers« 2016
German for Newcomers ist ein Projekt zur deutschen Sprache und Workshop-Konzept der dänischen Künstlerin Stine Marie Jacobsen, organisiert in Kollaboration mit Nastaran Tajeri-Foumani und Mirella Galbiatti von Gangway e.V., mit Teilnehmer*innen von BBZ und unterstützt von Aktion Mensch Berlin. Über den Zeitraum von einem Jahr fanden mehrere Workshops statt, es entstanden ein Film und eine Publikation.
Die Rolle von Schüler*innen und Lehrer*innen wird in German for Newcomers überdacht und verschoben: Expats, Zugewanderte und Geflüchtete verbessern ihre Sprachkenntnisse, indem sie gemeinsam Unterrichtsmaterial für sich und andere zusammenstellen. Das Lehrmaterial wird von den Erlebnissen der Teilnehmer*innen mit der deutschen Kultur, Bürokratie und Sprache inspiriert. Das Buch German for Newcomers teilt in humorvollen und ultimativ hilfreichen Statements zur deutschen Grammatik ihre grammatikalischen Perspektiven mit Menschen, die Deutsch lernen möchten. Es flechtet ihre Erfahrungen und Begegnungen mit der deutschen Sprache in das Lehrmaterial des Grammatikbuches ein.
Die Inspiration für die Publikation German for Newcomers (Broken Dimanche Press, 2016) kam nach der Veröffentlichung von German for Artists, einem hybriden Grammatik-Taschenbuch, das Überlegungen zu den philosophischen Aspekten der deutschen Sprache in Bezug auf Kunst (-Hierarchie) enthält.
Das Ausstellungsprojekt Law Shifters in dessen Rahmen frisch geschriebene Gesetze in die Wände der Galerie eingemeißelt werden, soll junge Bürger*innen anregen, ihre eigenen ethischen Positionen zu formulieren, ihren Sinn für ihre Beziehung zu Gesetzen schärfen, sodass sie als Katalysatoren letztendlich tatsächlich Einfluss auf heute verfasste Gesetze nehmen können.
Das Projekt engagiert Jugendliche von den Institutionen Gangway e.V. und Leuchtturm in der Nähe der Galerie, wo hunderte junge Zugewanderte und geflüchtete Kinder leben – häufig ohne ihre Eltern. Diese werden dazu eingeladen, Gesetze in einem unkonventionellen Spielszenario zu diskutieren, womit das Projekt sich mit den grundlegenden demokratischen Prinzipien auseinandersetzt: Was ist der Unterschied zwischen der Exekutive, der Judikative und der Legislative? Kann man über den Staat sprechen oder ihn gar kritisieren? Prinzipien wie das Recht, zu demonstrieren, die Redefreiheit, Familienzusammenführung und Datenschutz kommen zur Sprache. Die Ergebnisse des Projekts werden einem breiteren Publikum vorgestellt, das sich die jungen idealistischen Erwägungen hoffentlich zu Herzen nehmen und einen Diskurs über Bürgerfreiheiten und Gesetze initiieren wird. Ein professioneller Anwalt übersetzt die vorgeschlagenen Gesetze in juristische Fachsprache, diese werden anschließend in die Wand gemeißelt und als Poster im öffentlichen Raum aufgehängt.
Das Ziel ist es, einen nicht nur ernsthaften, sondern auch humorvollen und kreativen Weg zu finden, mit existierenden Vorschriften und Gesetzen in Europa umzugehen. Das Law Shifters-Projekt will Gesetze durch Diskussionen und Sprache für öffentliche und politische Prozesse zugänglich machen. Die künstlerische Leistung liegt darin, erarbeitete neue Gesetzesvorschläge der Öffentlichkeit zu präsentieren – im Kontrast zu den existierenden Gesetzen.
In der Zukunft werden die beiden Projekte in einem Unterrichtspaket für Schul-/Sprachklassen zusammengestellt. Im Rahmen des kuratorischen Programms POW (Post-Otherness Wedding) stellen sie zugleich eine Ausstellung und einen Lernprozess dar – eine Verschiebung von einem sich Beugen unter den Gesetzen und einer fremden Sprache hin zu einem Biegen der Gesetze und der Sprache.
Text: Solvej Helweg Ovesen
Ausstellungsgestaltung: Nils Grarup
Grafikdesign Modem Studio (Law Shifters) und Fuchs Borst (German for Newcomers)