Berlin-Wedding
Ein Stadtteil – 16 fotografische Positionen
Eine Gruppenausstellung der Agentur Ostkreuz und anderen Fotograf*innen, initiiert vom Büro Redaktion & Gestaltung in der Galerie Wedding – Raum für zeitgenössische Kunst
Mit Arbeiten von Dorothee Deiss, Espen Eichhöfer, Annette Hauschild, Heinrich Holtgreve, Tobias Kruse, Hendrik Lietmann, Julius Matuschik, Dawin Meckel, Thomas Meyer, Andreas Muhs, Frank Schirrmeister, Jordis Antonia Schlösser, Ina Schoenenburg, Linn Schröder, Heinrich Völkel und Maurice Weiss.
Kuratiert von Ina Schoenenburg, Linn Schröder und Axel Völcker
Ausstellung vom 17.06.2017 bis 30.06.2017
Eröffnung am Freitag, den 16.06.2017 um 19 Uhr
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Sozialer Brennpunkt, Hipster-Viertel, Melting Pot, Altes Westberlin – der Wedding ist ein Abbild der Welt, aber in Miniatur. Menschen unterschiedlichster sozialer und kultureller Milieus treffen hier aufeinander. Sie alle geben dem Stadtteil seinen eigentümlichen Charakter und machen ihn zu einem Ort gelebter Vielfalt und Gegensätze. Und dabei heißt es doch immer, dass das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Milieus und Religionen hierzulande erst noch erprobt werden muss. In Wedding findet all das längst statt, und so lassen sich am Beispiel des Stadtteils im Nordwesten von Berlin die großen gesellschaftlichen Themen Deutschlands und Europas erörtern. Etwa um Migration und Integration, Gentrifizierung bzw. den Wettbewerb um Wohnraum, um den demografischen Wandel und das wachsende Arm-Reich-Gefälle – also um die Kernfrage, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen.
Von diesen Phänomenen, Menschen und Räumen erzählen die Arbeiten aus 16 Fotoserien, die in Zusammenarbeit mit der Journalistin Julia Boek und dem Art Director Axel Völcker vom Büro Redaktion & Gestaltung und der international renommierten Fotografenagentur Ostkreuz und anderen Fotografen im letzten Jahr entstanden sind.
Realisierten Julia Boek und Axel Völcker in der Vergangenheit erfolgreich das deutschlandweit einzige Magazin für Alltagskultur »Der Wedding«,das sich mit den Geschichten und Sensationen des Großstadtalltags beschäftigt, nähern sie sich dem Stadtteil nun erstmalig auf eine rein fotografische Erzählweise an. Fotografisch wie publizistisch treten sie damit in die Tradition eines der bedeutendsten Fotokünstler der Nachkriegszeit, so fotografierte Michael Schmidt im Auftrag des Bezirksamtes Wedding von 1976 bis 1978 seine mittlerweile berühmten Straßenansichten und Porträts in Wedding. Der aktuelle 200 Seiten starke Bildband »Berlin-Wedding – Das Fotobuch« erscheint zur Finissage der Ausstellung.
Gewonnen haben Boek und Völcker 16 Fotografen*innen, die der in Weißensee ansässigen Ostkreuz – Agentur der Fotografen nahestehen. Einige von ihnen sind dort Mitgesellschafter, andere lassen sich mit ihren Arbeiten durch die Agentur vertreten. 1990 von sieben Ostberliner*innen darunter Sibylle Bergemann, Ute und Werner Mahler und Harald Hauswald gegründet, ist Ostkreuz heute die erfolgreichste von Fotograf*innen geführte Agentur in Deutschland. Ihre Mitglieder begreifen sich als Autorenfotograf*innen. Trotz unterschiedlicher Arbeitsweisen eint sie eine soziale Verantwortung, wonach der Mensch und das Menschliche im Mittelpunkt ihrer Fotografie stehen. Heute zählt die Ostkreuz Agentur 22 Fotograf*innen, unter den jüngeren befinden sich jene, die eine Ausbildung an der seit 2005 bestehenden Ostkreuzschule absolviert haben.
Die Fotografien der Ausstellung sind fein beobachtete, zeitlose wie sozialkritische Reportagen, Essays und Porträts, die sich multiperspektivisch mit den unterschiedlichen Aspekten des Weddings beschäftigen. So etwa die schwarz-weiß-fotografierten Kneipenszenen der Serie »Last Days of Disco«, für die sich Annette Hauschild in die proletarischen Wohnzimmer des legendären ehemaligen Arbeiterviertels begab. Im Café Morena und im Kugelblitz schloss sie Bekanntschaft mit Stammgästen, die das Selbstbewusstsein einer vergangenen Arbeiterkultur noch immer vor sich hertragen. Dass auch ihr Refugium vom Schwund betroffen ist, wissen sie. Annette Hauschilds Arbeit dokumentiert diesen Veränderungsprozess, an dem auch Künstler*innen maßgeblich beteiligt sind.
Denn, dass das Leben hier im Vergleich zu anderen Stadtteilen wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg noch immer wenig kostest, wissen auch sie zu schätzen. Erstaunt über die hohe Atelierdichte in Wedding, beschloss Thomas Meyer einige von ihnen zu porträtieren: darunter den Performancekünstler Johan Lorbeer, die Malerin Tanja Rochelmeyer oder den Holzbildhauer Peter Rintsch. War es für Meyer besonders herausfordernd, sich auf die unterschiedlichen Orte, die Charaktere der Künstler und deren Kunst einzulassen und trotzdem seine eigene Bildsprache durchzuhalten, lesen sich seine Porträts wie ein spannender Balanceakt zwischen Künstler, Raum und Fotograf.
Auf der Suche nach einem Ort, an dem über Integration nicht nur geredet wird sondern sie auch stattfindet, ging Dorothee Deiss in eine Kinderarztpraxis. In einem Wartezimmer baute sie ein kleines Studio auf und fotografierte für die Serie »Weddings Kinder« Familien und Kinder unterschiedlichster Herkunft und Milieus Gelebte Vielfalt, die auch Espen Eichhöfer in seiner Serie »Black Wedding« im Blick hatte. Mit über 5.000 Einwohnern ist die afrikanische Community Weddings berlinweit die größte, wobei die meisten der hier lebenden Afrikaner aus Ägypten, Kamerun und Nigeria stammen. Eichhöfer begleitete sie zum Sonntagsgebet in die Evangelische Freikirchliche Gemeinde und auf einen Hinterhof für Autoexport, wo eine Gruppe Kameruner Pkws, vollgepackt mit Stereoanlagen, Kühlschränken und Baumaterialien, nach Afrika verschifft. Ein Glückversprechen dieser Tage konservierte Andreas Muhs. Er fotografierte Spielhallen in Wedding, die hier in beträchtlicher Zahl an S-Bahnhöfen, zwischen Gemüseläden, neben Handyshops und Nagelstudios liegen. Seine frontal- und bei diffusem Licht fotografierte Serie »Las Wedding« reiht die Schaufenster großer Kasinoketten neben kleine Spielotheken mit individuell beklebten Scheiben. Heinrich Völkel hingegen suchte für seine Fotografie seltene Momente der Ruhe. Er fotografierte nachts wenn keine Menschen anzutreffen sind, keine Autos, Lieferwagen und Busse fahren. Mit seinen Langzeitbelichtungen und in strengem Schwarzweiß legte Völkel das frei, was den Stadtteil in seiner baulichen Wirklichkeit ausmacht: eine Architektur des Wohnens und Arbeitens, Jugendstil neben Nachkriegsmoderne, Ensemble neben Solitär, viel Geschichte und auch ein wenig Zukunft. Alles zusammen ein buntes Konglomerat verschiedener Lebensstile. So wie die 16 fotografischen Positionen der Ausstellung: Präsentiert jede einzelne eine überraschende und dabei alltägliche Facette des Weddings, so entwerfen alle zusammen das Bild gelebter, gesellschaftlicher Diversität.
Text: Julia Boek
Begleitprogramm: Symposium zu den Citizen Art Days »Initialzündung: Community Building durch Kunst«, kuratiert von Oscar Ardila, Stefan Krüskemper und Kerstin Polzin am Samstag, den 17.06.2017, um 14 Uhr
Finissage mit Buchveröffentlichung von »Berlin-Wedding – Das Fotobuch« am Freitag, den 30.06.2017 um 18 Uhr
Mit freundlicher Unterstützung der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, des Ausstellungsfonds und der Ausstellungsvergütung für Kommunale Galerien.
Berlin-Wedding
One district– 16 photographic positions
A Group Exhibition by Agentur Ostkreuz and other photographers, initiated by the Office Redaktion & Gestaltung at Galerie Wedding – Raum für zeitgenössische Kunst
With works by Dorothee Deiss, Espen Eichhöfer, Annette Hauschild, Heinrich Holtgreve, Tobias Kruse, Hendrik Lietmann, Julius Matuschik, Dawin Meckel, Thomas Meyer, Andreas Muhs, Frank Schirrmeister, Jordis Antonia Schlösser, Ina Schoenenburg, Linn Schröder, Heinrich Völkel and Maurice Weiss.
Curated by Ina Schoenenburg, Linn Schröder und Axel Völcker
Exhibition from 17.06.2017 until 30.06.2017
Opening on Friday, 16.06.2017 at 7.p.m.
Social hotspot, hipster quarter, melting pot, old West Berlin – Wedding is a portrayal of the world, only in miniature. People from an array of social and cultural backgrounds coexist here. They all lend the district its unique character, making it a place of diversity and contrast, yet we still hear that Germany is only recently becoming a country in which people from different places, milieus and religions exist side-by-side. But this has long existed in Wedding, and Berlin’s north-west district exemplifies how these major social issues have come to be considered: Migration, integration, gentrification; or rather: competition for housing, demographic shifts and the growing disparity between rich and poor. It raises key questions regarding how we imagine ourselves to coexist in the future. We learn about these phenomena, people and spaces in the works from 16 photo series created over the past year in cooperation with journalist Julia Boek and art director Axel Völcker from Büro Redaktion & Gestaltung, the internationally renowned photography agency Ostkreuz, as well as other photographers.
In the past, Julia Boek and Axel Völcker successfully realized »Der Wedding«, the only Germany-wide magazine for everyday culture which presented stories and sensations of everyday city life. They now approach the district for the first time in a purely photographic narrative. Photographically and journalistically, they enter a tradition set by of one of the most significant post-war photographic artists, one in which Michael Schmidt photographed his now famous street views and portraits in Wedding on behalf of the district office of Wedding between 1976 and 1978. The current 200-page book »Berlin-Wedding – Das Fotobuch« will appear at the finissage of the exhibition.
Boek and Völcker have acquired 16 photographers, all of whom are closely related to the Ostkreuz Agency of Photographers, based in Berlin – Weissensee. Some are co-owners, while others are represented by the agency. Founded in 1990 by seven East Berliners, including Sibylle Bergemann, Ute and Werner Mahler and Harald Hauswald, Ostkreuz is the most successful photography agency in Germany to date. Its members see themselves as author photographers. Despite their varying working methods, one social responsibility unites them, one that places humankind and humanity at the center of their photography. Today, Ostkreuz Agency represents 22 photographers, the younger members are among those to have been educated at the Ostkreuzschule, founded in 2005.
The photographs featured in the exhibition are acutely observed, timeless and social-critical reportages, essays and portraits which deal with the various aspects of Wedding in a multi-perspectival manner. For example, the black and white-shot pub scenes in the series »Last Days of Disco«, for which Annette Hauschild visited proletarian living rooms of the legendary former working-class district. In the Café Morena and in the »Kugelblitz«, she acquainted herself with regulars who still bear the self-awareness of a past working culture and are also aware that their refuges are disappearing. Annette Hauschild’s works document this process of change in which artists, too, are considerably engaged.
That living costs are low compared to other parts of the city, such as Kreuzberg or Prenzlauer Berg, is something they too appreciate. Amazed at the high concentration of ateliers in Wedding, Thomas Meyer decided to portray some of them and their inhabitants: these include performance artist Johan Lorbeer, painter Tanja Rochelmeyer or wood sculptor Peter Rintsch. While it was particularly challenging for Meyer to engage with the different places, the artist’s characters and their art, while still maintaining his own visual vocabulary, his portraits strike an exciting balancing act between artist, space and photographer.
In search of a place where integration is not only discussed but also achieved, Dorothee Deiss enters a pediatrician’s surgery. In her series »Wedding’s Children«, she builds a small studio in a waiting room and photographs families and children from different origins and milieus. Living diversity that Espen Eichhöfer also had in mind in his series »Black Wedding«. With over 5,000 inhabitants, the African community of Wedding is the largest in Berlin, with most Africans living here originating from Egypt, Cameroon and Nigeria. Eichhöfer accompanied these people to the Evangelical Free Church Congregation for Sunday Prayer, and to a backyard for car exports, where Cameroonian cars packed with stereo systems, refrigerators and building materials ship to Africa.
Andreas Muhs preserves a promise of good fortune of these days. He photographed gambling halls in Wedding, abundantly situated here at train stations, among grocery stores, phone stores and nail salons. His »Las Wedding« series, photographed in frontal and diffuse light, lines the windows of casino chains alongside small gambling halls with their individually laminated windows. In contrast to this, Heinrich Völkel seeks rare moments of silence for his photography. He shoots at night when people are scarce – and with no cars, trucks and busses in sight. With his long-exposures shot strictly in black and white, Völkel exposes that which represents the district’s structural reality: Architecture of the living and working, art nouveau juxtaposed with post-war modernism, ensemble alongside solitaire, a long history and a bit of the future. All in all, a colourful conglomeration of diverse lifestyles. As with the 16 photographic positions of the exhibition, each individual presents a surprising, yet everyday facet of Wedding which all together depicts an image of lived, social diversity.
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With kind support of the Senate Administration for Culture and Europe, the Exhibition Fund and the Exhibition Remuneration for Municipal Galleries. For the friendly support of Citizen Art Days thanks to the Goethe Institute.
Photos der Eröffnung: Dawin Meckel